Mehr Psychotherapieplätze

Dass es zu wenig Plätze für Psychotherapie in Deutschland gibt, ist schon lange bekannt. Dabei lese ich in letzter Zeit häufig den Ruf nach mehr Kassensitzen, was ich grundsätzlich für einen guten Ansatz halte. Was ich dabei selten sehe: Ideen, wer diese Kassensitze besetzen soll. Es gibt zum aktuellen Zeitraum quasi keine arbeitslosen Psychotherapeut:innen.

Natürlich würden sich diejenigen freuen, die gerade eine Privatpraxis betreiben und dann einen Kassensitz hätten. De facto tragen diese Privatpraxen aber gerade schon zu großen Teilen über das Kostenerstattungsverfahren zur allgemeinen Versorgung bei, das wären also immer noch keine zusätzlichen Therapieplätze. Psychotherapeut:innen, die angestellt sind, entweder in Praxen oder Kliniken, sind das größtenteils als eigene Entscheidung, weil sie nicht selbstständig sein wollen.

Es kann verschiedene Gründe geben, warum man sich nicht selbstständig machen möchte, aber ich für meinen Teil kann sagen, dass ein geschenkter Kassensitz nicht plötzlich dazu führen wird, dass ich meinen Job als angestellte Psychotherapeutin in der Klinik aufgeben werde, denn für mich persönlich überwiegen zum aktuellen Zeitpunkt die Vorteile, angestellt zu sein. Abgesehen davon, dass dann die Psychotherapeut:innen den Kliniken und MVZs fehlen würden, das wäre also auch keine Lösung.

Psychologie bzw. nach der Gesetzesreform von 2019 Psychotherapie ist einer der beliebtesten Studiengänge. Ohne eine Eins vor dem Komma im Abischnitt ist es schwer, einen Studienplatz zu bekommen. Die Nachfrage ist also groß genug, um neue Studienplätze zu schaffen. Das ist aufwändiger und teurer als z.B. ein BWL- oder Jura-Studienplatz, denn es braucht zu den Lehrveranstaltungen Ambulanzen und Menschen, die Lehrtherapien eng begleiten.

Wir müssen also die Forderung nach mehr Kassensitzen für Psychotherapie verknüpfen mit der Forderung nach mehr Studienplätzen. Zusätzlich muss dass Studium dringend so gestaltet werden, dass es möglich ist, auch ohne reiche Eltern oder andere Unterstützung, z.B. durch Partner:innen, das Studium zu absolvieren. Drei Monate unbezahlte „berufsqualifizierende Tätigkeit“ als Praktikum in Vollzeit kann sich nicht jede:r einfach so leisten, gehört aber aktuell an den meisten Unis dazu.

Ich habe auch keine perfekte Lösung, aber all diese Probleme wären mit ein bisschen gutem Willen von Politik, Universitäten und Gesundheitssystem bewältigbar. Und für diejenigen, denen das wichtig ist, langfristig sogar deutlich günstiger, wenn man nicht im Schnitt 6 Monate auf einen Therapieplatz warten muss und sich die Symptome in dieser Zeit weiter verschlimmern oder sogar chronifizieren.

That’s it (for now). Thank you for coming to my TED Talk.


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