Wie entsteht eigentlich ADHS? Wie bei fast allen psychischen Störungen ist die Ursache von ADHS nicht ein einzelner Grund, sondern das komplexe Zusammenspiel verschiedener Dinge. Erst wenn diese gemeinsam zusammenkommen, entsteht ADHS.
Die größte Rolle spielt bei ADHS die Genetik. Eine genetische Disposition heißt, dass nicht automatisch jede:r mit diesen Genen die Krankheit bekommt, aber das Risiko ist deutlich erhöht. Während in der gesamten Bevölkerung das Risiko, ADHS zu haben, bei ungefähr 5% liegt, ist es bei Menschen, die ein direktes Familienmitglied mit ADHS haben, deutlich höher, aber eben nicht 100%. Die genetischen Faktoren können zu einer Störung im Neurotransmitter-System führen, vor allem in Bezug auf Dopamin. Das führt dazu, dass dort, wo eigentlich Dopamin gebraucht wird, zu wenig ankommt. Die Auswirkungen dieses Mangels sind Störungen der exekutiven Funktionen, also z.B. Handlungen zu planen, beginnen, Ziele zu setzen oder Aufmerksamkeit zu steuern.
Neben den biologischen Faktoren spielen auch psychologische Einflüsse eine Rolle. Die sind individuell und bestimmen, wie wir die Schwierigkeiten, die durch den Störung des Neurotransmitter-Systems entstehen, bewältigen. Dabei kommt es auch auf Charaktereigenschaften an, z.B. reagiere ich eher ängstlich und vermeide Konflikte und Schwierigkeiten oder renne ich mit dem Kopf zuerst durch die Wand. Dabei sind auch die Vorbilder wichtig, die ich im Leben habe. Gerade bei Frauen führt die individuelle Bewältigung zu zusätzlichem Stress, z.B. weil versucht wird, möglichst “normal“ zu wirken und das eigene Leben so auszurichten, dass es wirkt, als hätte man sein Leben im Griff.
Der dritte Faktor sind soziale Einflüsse. Gesellschaftliche Erwartungen führen dazu, dass Kinder ein bestimmtes Bild erfüllen sollen und viele machen die Erfahrung, dass sie genau diesem Bild nicht entsprechen. Gerade von Mädchen wird bis heute erwartet, dass sie lieb und brav und angepasst sind. Durch die große genetische Komponente ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass in der Familie, in der die Kinder aufwachsen, weitere Menschen von ADHS betroffen sind. Vielleicht werden Symptome sogar in der Familie als normal oder als positive Persönlichkeitseigenschaft gesehen, z.B. das halt alle ein bisschen chaotisch und unpünktlich sind. Das führt jedoch auch dazu, dass die Wahrscheinlichkeit für negative Interaktionen mit der Umwelt steigt, z.B. weil Familienmitglieder auch impulsiv sind oder in der Schule ständig Ärger über Zuspätkommen oder fehlende Hausaufgaben droht. Viele Kinder und auch Erwachsene mit ADHS fühlen sich in ihrem Umfeld unwohl und haben dass Gefühl, nicht richtig dazu zu gehören oder anders als die anderen zu sein. Das kann zu negativen Gefühlen wie Einsamkeit oder Traurigkeit führen.
Die drei Kategorien sind nicht unabhängig voneinander. So führen z.B. bestimmte genetische Veranlagungen dazu, was ich mir für ein Umfeld aussuche, also wen ich beispielsweise als Freund:in wähle. Häufig höre ich von Eltern, dass diese:r oder jene:r Freund:in ein schlechter Einfluss und Schuld an bestimmten Verhalten ist. Fakt ist aber, dass wir unsere Freund:innen nicht völlig zufällig wählen, sondern zu Menschen tendieren, die uns ähnlich sind.
Das Zusammenspiel aus biologischen, psychologischen und sozialen Ursachen führt schließlich zu den Symptomen, die sich im Erleben und Verhalten zeigen. Die Hauptsymptome bei ADHS sind Probleme bei der Aufmerksamkeitssteuerung, mit Impulsivität und Hyperaktivität. Wie sich diese drei Probleme einzeln zeigen, hängt individuell und von Alter, Entwicklungsstand und Persönlichkeit ab. So kann sich Impulsivität bei einem dreijährigen Kind vielleicht in häufigen Wutausbrüchen zeigen, bei einem dreißigjährigen Erwachsenen in Spontankäufen. Unaufmerksamkeit ist bei Kindern manchmal noch „Oh schau mal ein Eichhörnchen“, bei Erwachsenen eher, auf dem Weg ins Bad zu vergessen, dass man gleich noch einen wichtigen Anruf machen wollte, weil man im Bad feststellt, dass man noch Wäsche aufhängen müsste. Und auch wenn wir bei Hyperaktivität noch den klassischen Zappelphilipp im Kopf haben, kann sie sich bei älteren Menschen auch in gedanklicher Unruhe und Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen, finden.
Und weil das alles noch nicht genug ist, können die Symptome, aber auch der bereits erwähnte Stress und die negativen Rückmeldungen aus der Umwelt zusätzlich zu weiteren Symptomen führen, wie Leistungsdefiziten, aggressivem Verhalten oder emotionalen Störungen wie Depressionen oder Angststörungen. Eine psychische Störung wie ADHS zu haben, erhöht die Wahrscheinlichkeit, an weiteren psychischen Störungen zu erkranken. Diese Störungen nennt man komorbid, weil sie erst in Folge des ADHS auftreten, aber auch eine weitere, zusätzliche Diagnose darstellen können. Genau deswegen ist eine frühe und gezielte Behandlung wichtig und der Zugang zu passender Diagnostik und Psychotherapie essentiell.
Disclaimer: Es gäbe noch so viel mehr über die Entstehung von ADHS zu sagen, hier ist nur eine kurze Zusammenfassung, so dass nicht auf alle Aspekte in jedem Detail eingegangen werden kann. Das hier soll erstmal ein kleiner Überblick sein.